Wie alles begann
Die Sage der Strohhexen von Nöttingen
Es war vor vielen Jahrhunderten, als die Felder und Wälder rund um Nöttingen noch wild und unberührt waren. In jenen Tagen lebten dort nicht nur Menschen, sondern auch mystische Wesen und zauberhafte Kreaturen. Die beeindruckendsten unter ihnen waren die Strohhexen, die in den goldenen Kornfeldern hausten und über das Land wachten.
Die Strohhexen waren weise und mächtig. Sie verstanden die Sprache der Tiere und die Geheimnisse der Natur. Tagsüber lebten sie verborgen im Schatten der hohen Eichen und verbrachten ihre Zeit damit, Kräuter zu sammeln und Heilmittel zu brauen. In der Dämmerung jedoch, wenn die Sonne hinter den Hügeln verschwand und die ersten Sterne am Himmel funkelten, kamen sie aus ihren Verstecken hervor. Mit ihren langen, wilden Haaren, die wie Stroh im Mondlicht leuchteten, tanzten sie barfuß durch die Felder und sangen alte Lieder, die von den Winden weit getragen wurden.
Die Menschen aus Nöttingen erzählten sich Geschichten von den Strohhexen, die in der Nacht zum 1. Mai, der Walpurgisnacht, ihre größten Feste feierten. Es hieß, in dieser Nacht würden die Hexen um die großen Feuer tanzen, gemeinsam mit den Teufeln und Geistern, die aus den Tiefen der Erde heraufstiegen. Sie beschworen den Frühling und trieben den Winter mit lautem Gelächter und fröhlichem Treiben aus dem Land.
Doch nicht alle Geschichten über die Strohhexen waren fröhlich. Es wurde auch erzählt, dass sie in dieser Nacht ihre mächtigsten Zauber wirkten und jeden, der sich unvorsichtig in ihre Nähe wagte, mit ihren Streichen heimsuchten. Vieh würde plötzlich erkranken, Milch sauer werden, und das Korn auf den Feldern könnte verdorren. Deshalb wagte sich kein Dorfbewohner aus Nöttingen in dieser Nacht hinaus, aus Angst, den Hexen zu begegnen.
Eines Tages jedoch wagte ein mutiger junger Mann das Geheimnis der Strohhexen zu ergründen. Er beschloss, in der Walpurgisnacht hinaus in die Felder zu gehen und den Hexen zu begegnen. Mit einem Amulett, das ihm Schutz gewähren sollte, und einem Herz voller Mut machte er sich auf den Weg.
Als er die Felder erreichte, sah er im fahlen Mondlicht die Silhouetten der tanzenden Hexen. Ihre Stimmen klangen wie ein sanftes Flüstern im Wind, und ihre Augen leuchteten grün und geheimnisvoll. Der junge Mann blieb stehen, verborgen im Schatten eines alten Baumes, und beobachtete das magische Treiben.
Plötzlich bemerkte eine der Hexen seine Anwesenheit. Es war die Anführerin, mit der prächtigsten Larve und den schönsten, langen Haaren. Sie trat auf ihn zu, und obwohl er vor Angst kaum atmen konnte, blieb er standhaft.
„Warum bist du hier, Sterblicher?“ fragte die Hexe mit einer Stimme, die zugleich sanft und mächtig war.
Der junge Mann erzählte von seiner Neugier und seinem Wunsch, die Wahrheit über die Strohhexen zu erfahren. Die Anführerin der Hexen lächelte und erklärte ihm, dass sie keine bösen Wesen seien, sondern Hüterinnen der Natur, die das Gleichgewicht bewahren und die Jahreszeiten wechseln ließen.
Beeindruckt von seinem Mut und Offenheit, gewährten die Hexen ihm einen besonderen Segen. Sie versprachen, das Dorf Nöttingen zu beschützen und ihm Wohlstand zu bringen, solange die Dorfbewohner die Natur achteten und die alten Bräuche bewahrten.
Seit jener Nacht sind die Strohhexen ein fester Bestandteil der Nöttinger Geschichte. Ihr Erbe lebt weiter, nicht nur in den Geschichten und Sagen, sondern auch in den Bräuchen und Traditionen, die jedes Jahr in der Fasnetszeit gefeiert werden. So erinnern die Menschen von Nöttingen noch heute an die Weisheit und Magie der Strohhexen, die einst über ihre Felder tanzten und das Land segneten.